Moshtari

„Trauma-themed ink-on-paper“, so bezeichnete die New York Times die Illustrationen der in Kabul geborenen Künstlerin Moshtari Hilal, die im Alter von 2 Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen ist. Heute lebt und studiert sie in Hamburg Politik- und Islamwissenschaften. Als Tochter von Geflüchteten setzt sie in ihren meist schwarz-weißen Zeichnungen karikaturistisch abstrakte Gedanken zu Themen wie Sexismus, Rassismus, Postkolonialismus und Popkultur um. „Ich wollte keine bestehenden Bilder nähren, sondern aufbrechen. Aus der Überzeugung heraus, dass die Komplexität der Wirklichkeit verkannt wird und eine große Herausforderung unserer Gegenwart eben diese Erkenntnis der Komplexität ist, wollte ich von nun an hybride Identitäten darstellen: Hybrid nicht im Sinne neuer Technologien oder verschiedener Materialien, sondern hybrid als Verkörperung der bereits realen Identität. Dieses neue Verständnis von Identität geht auf mein Studium und den ersten Kontakt mit Begriffen wie Diskurse oder Narrative zurück, aber auch auf die Lektüre von Amin Maalouf ‚Mörderische Identitäten‘.“

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Als nicht-weiße, muslimische Frau mit Fluchterfahrung sieht sie sich selbst und andere Menschen in ihrer Umgebung oft falschen und gefährlichen Konzepten von Identität gegenübergestellt. „Diese Konzepte erlauben nur eindimensionale Lebensrealitäten und erschaffen künstliche Dichotomien, die eine Zensur unserer Person bedeuten: sei es deutsch oder afghanisch, Frau oder Mann, frei oder fromm, feministisch oder muslimisch, stark oder schwach. Deshalb versuche ich mich bei meinen Zeichnungen von diesen gegebenen Narrativen zu lösen, indem ich sie ironisiere oder ihnen andere gegenüberstelle.“

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                                                                   Quelle: Moshtari Hilal

 

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„Ich glaube, dass sich unsere Identität nicht nur über reale Erfahrungen definiert und verändert, sondern auch über konstruierte Bilder und Begriffe, die wir täglich durch Medien, Kunst oder Musik konsumieren. So arbeite ich weiterhin mit Symbolen und Geschichten aus der muslimischen oder afghanischen Community, ironisiere aber die stereotypischen Bilder und versuche Wahnvorstellungen von kollektiven Identitäten oder einer Leitkultur aufzubrechen.“

12941192_1664620867138051_378594700_oQuelle: Moshtari Hilal

 

 

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„Mein aktuelles Projekt ‚Embrace the Face‘ befasst sich mit Gesichtern, die in den Mainstream Medien nicht existent sind, die aber durch die Selfie-Kultur oder sozialen Netzwerken wie Instagram und Tumblr immer sichtbarer werden.“ Diese Menschen suchen selbst die Öffentlichkeit und warten nicht darauf durch eine andere Person erst entdeckt und für ein Portrait würdig erklärt zu werden. So bergen Selfies für Moshtari auch stets etwas Emanzipatorisches.

 

Quelle: Moshtari Hilal

„Hier portraitiere ich Frauen in Anlehnung an Frida Kahlos Selbstbildnisse, denen die Welt anerziehen möchte, nicht schön zu sein, sie werden jedoch durch das Medium des Portraits zu Schönheiten erhoben.“

 

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                            Quelle: Shadi Ghadirian                                                              Quelle: Moshtari Hilal

„Warum Gesichter? Ich habe schon immer Gesichter gezeichnet. Sie interessieren mich einfach am meisten, vor allem je markanter sie werden. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst ein sehr markantes Gesicht habe und als Kind immerzu nach Menschen mit ähnlichen Gesichtszügen gesucht habe, da diese in den weißen Medien einfach nicht vorhanden waren. Irgendwann gelangte ich an den Punkt, an dem ich selbst diese Gesichter gezeichnet habe. Inspieriend waren für mich dabei zunächst alte schwarz-weiß Fotografien meiner Familie, welche einen ganz anderen Umgang mit der Kamera im Gegensatz zu heute verdeutlichen. Denn damals in Kabul hatte meine Familie nicht immer den Zugang zu einer Kamera, geschweige denn zu einer eigenen privaten. So sind viele dieser Aufnahmen in Fotostudios entstanden.“

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                             Quelle: Kurzfilm „All The Fridas“ von Dana Tomos, nachbearbeitet von Moshtari Hilal

 

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                                                                                                                                               Quelle: Moshtari Hilal

 

Begonnen habe ihre zeichnerische Annäherung an Gesichter durch eigene Selbstportraits, zunächst auch aus praktischen Gründen. Es sei einfacher sich selbst im Spiegel betrachtend zu zeichnen als jemanden zu finden, der*die für Sie Modell stehen würde. „Durch meine Selbstportraits kam ich mir selbst näher, meine eigene Gesichtsstudie hat für mich auch etwas Therapeutisches.“ Denn Selbstportraits waren schon immer mehr als bloße Abbildungen der eigenen Physiognomie, so zeugen auch Moshtaris Selbstbildnisse von einer inneren Auseinandersetzung der Künstlerin.

 

Mehr über Moshtari findest du auf ihrer Homepage und auch auf Instagram.

Hengameh

 

 

Hengameh  Yoghoobifarah begegnete ich zum ersten Mal im letzten Sommer auf einer queerfeministischen Veranstaltung. Sehr bald sahen wir uns auf unseren Social Media-Kanälen und in Person wieder. Hengameh lebt in Berlin und ist als freie Autorin, Aktivistin, Bloggerin und Online-Redakteurin des Missy Magazins tätig.  Auf ihrem „queer_feminist fa(t)shion“ Blog Queer Vanity  diskutiert und portraitiert sie neben ihrem eigenen Stil auch Modeinspirationen durch andere Personen. Für mich stand es sehr früh fest, dass ich ihre Positionen zu Fashion und Fashionpolitik auf meinem Blog teilen möchte. „Eine seltsame Selbstgefälligkeit formt sich aus dem radikalen Gedanken, trotz Fehlen von als normschön geltenden Eigenschaften [wie schlanke, ableisierte, weiße Körper mit möglichst wenig Haar unterhalb des Kopfes] das eigene Aussehen zu zelebrieren. Sie ist die Strategie, in einer patriarchal-rassistischen Gesellschaft Selbstfürsorge auszuüben und Raum, der nicht freiwillig gegeben wird, einzunehmen.“ Ihr Blog ist nicht bloß eine Abbildung von Outfitideen, er ist vielmehr ein selbstbewusster politischer Aktivismus.

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„Mode ist für mich zugleich Anfang und Ende von Identitätsverhandlungen. Sie hilft mir dabei, mich auszudrücken und die Intersektionen meiner Identität sichtbar zu machen. Sie verleiht mir eine Sprache, die nackt nicht funktioniert.“

 

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Kleidung ist ein Kommunikationsmittel. Sie kann ein Schutzschild sein. Kleidungsrituale können Widerstandsstrategien sein. Sie helfen mir bei der Selbstermächtigung, weil ich sie mir anders aneigne, als sie vorgesehen sind. Vorgesehen sind sie für schlanke, weiße, cisgeschlechtliche Körper.“

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Mein Körper ist nicht neutral genug, um diese Kleidung zu tragen, und ich tue es trotzdem. Gleichzeitig wird Mode zum Werkzeug von Diskriminierung, ein Ausschlussmechanismus. Die Geschichten der Modeindustrie erzählen uns als Opfer, als Anti-Vorbilder, als das Andere, Unbegehrenswerte. Es gibt viele schlimme Aspekte in dieser Industrie, die Produktion und die Vermarktung sind zwei davon.“

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Früher habe ich viel boykottiert, damals hatte ich noch mehr Handlungsspielräume, weil ich weniger dick war. Das hat sich allerdings geändert und ich habe erkannt, dass das sorgfältige Auswählen und der selbstbestimmtere Konsum Privilegien sind, die ich nicht ganz besitze. Wenn ich ohnehin nur einen verringerten Zugriff auf das Sortiment habe, ist wenig Raum zur Auswahl. Wie viele Labels fallen dir ein, die hippe Plus-Size-Kleidung fair produzieren und bezahlbar sind? Das bringt mich in die Position, alles zu kaufen, das mir passt und mir gefällt, (fast) egal wie teuer oder wie schlecht produziert, weil ich nie weiß, wann die letzte Gelegenheit für mich da ist, ein schönes Kleidungsstück zu kaufen.“

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